„Wie kann man Zorn, Scham, alten Hader und Hass besser verarbeiten, als dass man sie in Hoffnung und Taten der Hoffnung umsetzt?“
(Bischof D. Albrecht Schönherr in einem Kommentar in Radio DDR am 7. Juni 1976 zur Aktion „Kinderkrankenhaus Warschau“)
Im Jahr 1973
wurde in Miedzylesie, am Rande von Warschau, der Grundstein für das CENTRUM ZDROWIA DZIECKA, das „Gesundheitszentrum des Kindes“ gelegt – heute POMNIK CENTRUM ZDROWIA DZIECKA, wörtlich „Denkmal Kindergesundheitszentrum“ und in Deutschland oft auch KinderGedächtnisGesundheitsZentrum (KGGZ) oder einfach „Kinderkrankenhaus Warschau“ genannt.
In einem über mehrere Jahre währenden Prozess war in der polnischen Gesellschaft die Idee herangereift: Initiiert durch die Schriftstellerin Ewa Szelburg-Zarembina, sollte den im Zweiten Weltkrieg getöteten Kindern aller Nationen, und besonders den polnischen Kindern, ein Denkmal errichtet werden – doch kein Denkmal im herkömmlichen Sinn, sondern ein „lebendes“, ein Denkmal, das Kindern Gutes tut. So wurde eine herausragende Klinik geplant, die auf dem neuesten medizinischen Stand Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten für Kinder aus ganz Polen und darüber hinaus bieten sollte. Und: Das Krankenhaus sollte ausschließlich aus Spenden errichtet werden.
Unter Leitung von Minister Janucz Wieczorek wurde ein Ehrenkomitee zum Bau des Krankenhauses eingerichtet. Der Spendenaufruf erging in alle Welt und fand ein vielfältiges Echo. Auch in Deutschland – Ost und West – wurde der Aufruf wahrgenommen: sowohl auf staatlicher als auch auf kirchlicher, auf institutioneller wie auf privater Ebene.
Im Mai 1975
reiste eine Delegation des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) unter Leitung von Bischof Albrecht Schönherr zu einem Besuch beim Polnischen Ökumenischen Rat nach Warschau. Dort wurde die Delegation mit dem Projekt Kinderkrankenhaus bekannt gemacht und fühlte sich angesprochen und herausgefordert.
Bischof Schönherr brachte das Thema zu Hause auf die Tagesordnung. Die Konferenz der Kirchenleitungen beschloss ein sehr ambitioniertes Spendenziel für das Krankenhaus: Innerhalb eines Jahres sollten durch die evangelischen Gemeinden und Institutionen in der DDR 500.000 Mark aufgebracht werden, um sie dann in Form von Einrichtungsgegenständen zu spenden. Diese Bereitschaft zur Unterstützung teilte Bischof Schönherr Minister Wieczorek bei einem Besuch im Dezember 1975 mit.
Im Spendenaufruf
ruft die Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR am 13. März 1976 „die Gemeinden auf, durch ihre Spenden am Bau dieses Denkmals des Lebens teilzunehmen. Daß in der unseligen Vergangenheit Kinder, besonders polnische Kinder, so Furchtbares erleben mußten, schmerzt uns tief. Unser Beitrag für das Gesundheitszentrum des Kindes kann nicht mehr als ein Zeichen einer neuen Gesinnung sein.“
Damit begann eine beispiellose Flut von Aktivitäten, die bis heute nachwirken.
Als erstes wurde unter Leitung von Christa Lewek, Oberkirchenrätin im BEK, eine Steuerungsgruppe für die Aktion eingesetzt. Sie scharte eine engagierte Gruppe aus Vertreter*innen der Jugendarbeit, der Presse-und Informationsarbeit, der Kinder- und Konfirmandenarbeit, aus dem Facharbeitskreis Ökumenische Diakonie und der Zentrale von Innere Mission und Hilfswerk um sich, die die praktische Durchführung übernahm. Schon die Auswahl der Personen zeigt, wie vielfältig die Spendenaktion von Anfang an gedacht war.
Unter der ideenreichen, durchsetzungsfähigen und hoch motivierten Leitung von Christa Lewek flossen schon bald Spenden aus allen Gegenden der DDR, so dass es nie in Frage stand, ob das Ziel von 500 000 Mark erreicht werden würde. Die Steuerungsgruppe entwarf Informations- und Werbematerial – vom Diafilm über Lesezeichen und Postkarten bis hin zu Informationsmappen. Dabei ging es nicht ausschließlich um den Bau des Kinderkrankenhauses, sondern auch um die Beziehungen zwischen Polen und Deutschen.
Um die Zusage halten zu können,
war es notwendig, mit dem Ministerium für Leichtindustrie der DDR zusammenzuarbeiten. Nur so ließen sich über bestimmte Betriebe die Einrichtungsgegenstände und Textilien beschaffen, die im Krankenhaus gebraucht wurden. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche funktionierte an dieser Stelle reibungslos. Lediglich die Materialengpässe der DDR-Wirtschaft führten manchmal zu Schwierigkeiten.
Am 30. November 1976 vermerkte Christa Lewek nach einem Gespräch mit Vertretern des Ministeriums für Leichtindustrie: „…(die Vertreter des Ministeriums) brachten die Bereitschaft des Ministeriums der Leichtindustrie zum Ausdruck, im Sinne des Schreibens vom 23. 7. 76 (Bischof Schönherr an den Minister) das humanitäre Anliegen der Unterstützung des Krankenhausbaues voll zu unterstützen.“
Zusätzlich zu den Spenden
sollte es – von deutscher Seite gewollt – auch persönliche Kontakte geben. Mehrfach besuchten Vertreter des Krankenhauses unter Vermittlung des Polnischen Ökumenischen Rats den BEK und speziell die Steuerungsgruppe. Und auch deutsche Vertreter*innen der evangelischen Kirche fuhren mehrmals nach Warschau.
Die intensivere persönliche Begegnung aber sollte über Einsätze von Jugendlichen im Kinderkrankenhaus stattfinden. Diese Idee, „ausgeliehen“ von Aktion Sühnezeichen, brauchte als erstes eine Genehmigung des Ministers Wieczorek, Schirmherr des Projekts und Vertreter der polnischen Regierung.
Martin Herrbruck, Diakon und Vertreter des Ökumenischen Jugenddiensts in der Steuerungsgruppe, erinnert sich: „Für Christa Lewek war es von Anfang an klar, daß es nicht nur um eine materielle Unterstützung gehen konnte. Sie wollte, daß …auch Christen aus der DDR direkt beim Aufbau des Kinderkrankenhauses mithelfen konnten. Das war 1976 und in der Gemengelage zwischen Kirche und Staat zunächst eine visionäre Forderung. Aber ihre politische Erfahrung, ihr Verhandlungsgeschick und die schon erwähnte Durchsetzungsfähigkeit brachten das Vorhaben relativ schnell auf den Weg.“
Minister Wieczorek gab seine Zustimmung. Und nachdem diese Hürde genommen war, konnte die konkrete Vorbereitung beginnen.
Als im März 1977 die Spendenaktion offiziell beendet wurde
konnte die Steuerungsgruppe berichten: „Die Aktion, die von Ostern bis Advent 1976 terminiert war und deren Bilanz zum Beginn der Passionszeit 1977 gezogen wird, ist mit dem 28. Februar 1977 abgeschlossen und doch nicht zu Ende. Hier ist ein Prozeß in Gang gekommen, der nicht terminiert werden kann.
Eines der Spezifika der Aktion war das ganz persönliche Engagement von Christen und Gemeinden in der DDR. Hinter der Summe, die im Ergebnis entsprechend der Zusicherung vom Dezember 1975 aufgebracht worden ist, steht kein Fonds, kein großer Topf. Sie setzt sich aus unzähligen Einzelbeträgen zusammen hinter denen je ein individueller Spender mit seiner ganz persönlichen Motivation und Entscheidung steht.“
Die Spenden flossen tatsächlich auch nach Beendigung der Aktion weiter. Und ab dem Sommer 1977 fuhren jedes Jahr mehrere Jugendgruppen nach Warschau zu zweiwöchigen Arbeitseinsätzen im Krankenhaus.
Spendenaktion trägt reiche Frucht
Diese Einsätze erwiesen sich in der Folgezeit als das Bindeglied zwischen Krankenhaus, Polnischem Ökumenischen Rat, Evangelisch-lutherischer und Evangelisch-reformierter Kirche in Polen und der Evangelischen Kirche in der DDR. Über die Jahre entstanden immer tiefere Beziehungen, und auch neue Kontakte wurden geknüpft.
Die ersten zehn Jahre fuhren Jugendgruppen über Aktion Sühnezeichen und den Ökumenischen Jugenddienst; ab 1987 beteiligte sich die Evangelische Frauenhilfe mit eigenen Gruppen.
Nach der friedlichen Revolution
und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten begannen auch die Institutionen der evangelischen Kirche sich zu vereinigen. Nachdem der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR 1991 aufgelöst wurde, ging die Verantwortung für die Einsätze in Warschau und die Verwaltung des Spendenkontos an das Außenamt der EKD über, das den Ökumenischen Jugenddienst mit der weiteren Ausführung und Koordination der Einsätze betraute. Das Projekt KGGZ blieb auch bei diesen großen Umwälzungen in Kirche und Gesellschaft im Fokus der Evangelischen Kirche Deutschlands.
1994 schickte der Ökumenische Jugenddienst zum letzten Mal eine Gruppe nach Warschau, Aktion Sühnezeichen 1995.
Bei der Vereinigung der beiden Frauenhilfen
brachte die Frauenhilfe Ost das Projekt „Kinderkrankenhaus Warschau“ mit in die wieder vereinigte Evangelische Frauenhilfe in Deutschland, die fortan die Verantwortung für das Projekt trug.
Die Schwierigkeiten, die nach 1989 auch in Polen durch Umstrukturierungen und Privatisierungen entstanden, stellten immer wieder große Herausforderungen für den Verband in Deutschland dar. Und auch der Verband wurde in den folgenden Jahren umstrukturiert. Jedes Mal stand das Projekt „Kinderkrankenhaus Warschau“ auf dem Prüfstand. Doch allen Schwierigkeiten zum Trotz setzte sich die Mehrheit für eine Weiterführung ein.
2008 übernahmen die Evangelischen Frauen in Deutschland
als Nachfolgeverband der Evangelischen Frauenhilfe die Verantwortung. Bis 2015 sandten sie Frauengruppen zu Einsätzen ins Kinderkrankenhaus – ab 2012, anknüpfend an die Anfangszeit des Projekts, wieder in Kooperation mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.
Im Anschluss an den Einsatz 2015 wurde in einer festlichen Veranstaltung die Zusammenarbeit zwischen dem POMNIK CENTRUM ZDROWIA DZIECKA Warschau und den Evangelischen Frauen in Deutschland beendet.
Ein Same, der 1976 mit einem Spendenaufruf und einer Initiative für Arbeitseinsätze begann, ging in den folgenden 40 Jahren auf und wuchs zu einem Baum der Begegnungen und Beziehungen, einem Baum der Versöhnung.
(Astrid Utpatel-Hartwig)
Zur Website des Projekts: www.erinnern-verstehen-versoehnen.de
Quellen: Joachim Heise (Hg.): Christa Lewek. Kompetent und unbequem. Eine Frau im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. – verlag am park, 2007 Gottfried Orth, Hrsg.: Ökumenische Aktions- und Reflexionsprozesse der Kirchen in der DDR, Band 3 Christfried Berger, Siegfried Menthel, Renate Romberg: Lernerfahrungen in der einen Welt. Partnerschaften der Gemeinden in der DDR nach den Niederlanden, Polen und Mozambique. – Ernst-Lange-Institut für ökumenische Studien e.V., Rothenburg 2000 Bericht über die Aktion des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik für das Gesundheitszentrum des Kindes in Warschau 1976/77. – Zus.-gest. von der Steuerungsgruppe für die Aktion beim Sekretariat des Bundes. – Evangelisches Zentralarchiv Berlin, Signatur EZA 118/201 Archivmaterial aus dem Evangelischen Zentralarchiv Berlin mit folgenden Signaturen: EZA 101/101, EZA 101/1067, EZA 101/102, EZA 101/1066, EZA 118/200, EZA 725/98/19