Menü
Geschlechtergerechte Zukunft der häuslichen Pflege

Die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung im Hinblick auf die Betreuung pflegebedürftiger Menschen ist aufgrund Jahrhunderte alter patriarchaler Tradition in der Tiefenstruktur unserer Gesellschaft verankert. Sie greift in besonderer Weise, denn bei eintretender Pflegebedürftigkeit von Familienangehörigen wird von Frauen in weit höherem Maße als von Männern die Reduzierung, Unterbrechung oder auch Aufgabe ihre Erwerbsarbeit erwartet, während der Rechtfertigungsdruck auf Männer diesbezüglich deutlich niedriger ist. Umgekehrt haben Männer, die Pflegeaufgaben übernehmen, in ihrem beruflichen wie privaten Umfeld zu erklären, wieso sie ihren Beruf zugunsten einer „weiblichen“ Tätigkeit zurückstellen.  für die Öffnung des einseitig weiblich konnotierten Pflegeverständnisses kommt den Kirchen und kirchlichen Verbänden eine besondere Verantwortung zu, waren sie doch in der Neuzeit mit der Gründung und Ausgestaltung der weiblichen Diakonie entscheidend an der Tradierung dieser Weiblichkeits- und Männlichkeitskonzepte beteiligt.

Vielen Frauen erscheint es auch heute noch „selbstverständlich“, die Pflege von Angehörigen zu übernehmen, da dies eigenen Vorstellungen davon entspricht, was eine „gute Tochter/Schwiegertochter/Ehefrau“ ausmacht. Pflege Arbeit zu leisten bedeutet dabei für Frauen oft einen erheblichen Einschnitt in ihre bisherige Lebensplanung. Viele dieser Frauen schränken zugunsten der Pflege ihre Berufstätigkeit ein, geben sie zeitweise oder dauerhaft ganz auf. Hinzu kommt, dass die pflegenden Frauen durch Erwartungen und Ansprüche der Partner und der Kinder oft eine zusätzliche Belastung erfahren und daher von den pflegebedingten psychischen und physischen Belastungen besonders betroffen sind.

 Der Anteil der Männer als Pflegende ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Verschiedene Untersuchungen sprechen von ca. 30  % pflegender Männer. Die große Mehrzahl von ihnen pflegt die Ehefrau zu einem Zeitpunkt nach der Erwerbsarbeitsphase. Das bedeutet, dass sich für viele Männer nicht die Frage nach Aufgabe bzw. Einschränkung der  Erwerbsarbeit stellt. Zudem  fällt es Männern aufgrund geschlechtsspezifischer Rollenbilder oft leichter als Frauen, Pflege zu organisieren, also Dritte in die Pflegetätigkeiten einzubeziehen.

Die Evangelischen Frauen in Deutschland und die Männerarbeit der EKD verbinden mit ihrem gemeinsamen Engagement für eine geschlechtergerechte Pflege in Deutschland konkrete geschlechterpolitische Ziele. Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen ist bei der Care-Arbeit die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit ethisch geboten, zudem werden Männer und Frauen auf Dauer nur unter dieser Voraussetzung im gesellschaftlich notwendigen Maße bereit und in der Lage sein, familiäre Pflegeaufgaben zu übernehmen.

Geschlechtergerechtigkeit ist dann erreicht, wenn Frauen und Männer über gleich viel Geld, Macht, bezahlte wie unbezahlte Arbeit, Gesundheit und Zeit verfügen können und gleich viel Anerkennung für geleistete gesellschaftlich notwendige Arbeit bekommen. Voraussetzung dafür ist auch im Bereich der privaten familiären Pflegearbeit die Veränderung traditioneller Geschlechterkonzepte und der entsprechenden Männern und Frauen zugewiesenen Rollenstereotype.

Konkret bedeutet dies unter anderem, dass Frauen von Männern lernen, dass es unter Umständen für alle Beteiligten hilfreich sein kann und legitim ist, Pflegearbeit für Angehörige eher zu organisieren als selbst zu leisten. Umgekehrt lernen Männer von Frauen, dass Pflege Arbeit im familiären Bereich eine sinnvolle und befriedigender Beziehungsarbeit sein kann.

Schließlich setzt Geschlechtergerechtigkeit in der Pflege die Analyse und Veränderung gesellschaftlicher Strukturen voraus, die auf traditionellen hierarchischen Geschlechterkonzepten beruhen, Geschlechterungerechtigkeit festschreiben und in die Zukunft hinein verlagern. Konkret sind hier etwa Gesetze zum Anspruch auf Freistellung von Erwerbsarbeit zur Pflege von Angehörigen Zu nennen, die – angesichts der fortwirkenden Rollen Stereotype – dazu führen, dass vor allem Frauen ihre Erwerbsarbeit und damit die eigenständige Existenz und Alterssicherung reduzieren oder aufgeben.

Männerarbeit der EKD und EFiD betonen, dass die Sicherung einer menschenwürdigen Pflege für jede Frau und jeden Mann – ebenso wie die notwendige Care-Arbeit für die Nachfolgende Generation – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Diese Aufgabe muss aus ethischen Gründen gelöst werden und ist tatsächlich lösbar.

Positionspapier_Geschlechtergerechte Pflege_Interaktive Internetversion