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leicht & sinn: #anSTIFTEN

Editorial zur Ausgabe 1-2019: #anSTIFTEN

Ich bin wahrlich keine Eingeborene der digitalen Welt. Aber vor drei, vier Jahren habe ich mich dann doch ergeben und mich anstecken lassen von der Faszination der Sozialen Medien. Von den Möglichkeiten der blitzschnellen Information und der Kommunikation mit Menschen, die weltanschauungsmäßig ähnlich ticken wie ich. Meist bleibe ich in den „Blasen“, die sich nicht sehr von meinen realen beruflichen und privaten Lebensfeldern unterscheiden. Und meist fühle ich mich da ganz wohl und gut aufgehoben.

Aber natürlich sind die Grenzen fließender, leichter zu überschreiten als in den Strukturen der Kohlenstoffwelt. Das bereichert mich. Ich lese vieles, was ich ohne die langen Stunden mit meinem Smartphone im Zug nicht wahrnehmen würde. Ich kommuniziere mit Menschen, denen ich sonst nie begegnen und mit deren Meinungen ich nicht konfrontiert würde. Genau da aber wird es oft grenzwertig. Impfpflicht, Gender(sternchen), „die“ Politiker, Özil, Heimat, vegan, Migration, Europa: Es fällt ein Reizwort, und schon geht die Post in den Kommentaren ab. Oft kommt es mir so vor wie auf dem Bild gegenüber: Da stehen sie schon parat, kampfbereit in Reih und Glied wie eine römische Kohorte, und warten förmlich darauf, dass endlich! einer zündelt und eine andere schnell noch ein bisschen Öl ins Feuer gießt. „Da simmer dabei, dat is prima!“ Die Kölner Höhner werden mir verzeihen, dass ich ihre mitreißende Ode an die liebenswerte Lebensart ihrer Heimatstadt hier einmal gegen den Strich höre.

Was mich dabei besonders stört: Es geschieht überall. Und: Fast immer kommt Sexismus ins Spiel. Dass allein die Erwähnung von Angela Merkel oder Claudia Roth einen sexistisch gefärbten Shitstorm übelster Sorte auslösen kann, ist schlimm genug. Aber was oft auch bei den „Guten“, den engagierten Verteidiger*innen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und einer liberalen Gesellschaft abgeht, wenn Namen wie Beatrix von Storch oder Alice Weidel fallen, das zieht mir manches Mal die Schuhe aus. Menschen haben begrenzt Zeit, sich zu engagieren, und setzen sich dort ein, wo ihr Herz schlägt. Keine*r kann die ganze Welt retten. Man/frau kann sich darum natürlich vor allem gegen Rassismus oder Sexismus oder Antisemitismus oder Homophobie oder Antiziganismus  oder Rechtsextremismus oder… einsetzen. Was aber gar nicht geht, ist, sich mit sexistischen Sprüchen gegen Vertreterinnen anderer Positionen auszutoben. Und nein, auch dann nicht, wenn sie rechts sind.

Im Mai feiern wir 70 Jahre Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, lautet Artikel 1. Immer. Überall. Ohne Wenn und Aber. Sich davon anstiften lassen, über andere und mit anderen hatespeechfrei zu reden: „Da simmer dabei, dat is prima!“ Sie auch?

Ihre
Margot Papenheim