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leicht&sinn: #staunen

Editorial zur Ausgabe 1-2020: #staunen

 

Liebe Leser*innen,

Staunen ist eine existenzielle Erfahrung. Für religiös musikalische Menschen eine tiefe Erfahrung von Transzendenz. Vielleicht ist das Staunen gar die Urgestalt des Gebets? Nicht von ungefähr reden wir vom andächtigen Staunen, wenn uns etwas Schönes mit überwältigender Kraft überfällt, einnimmt, in Bann zieht. Ich habe das erlebt, wenn ich ein neu geborenes Menschenkind im Arm halten und anschauen durfte. Für einen Moment sind dann da nur Stille und ein tiefer Frieden angesichts des Wunders neuen Lebens. Und dann, ganz leise und kaum wahrnehmbar zunächst, beginnt meine Seele zu vibrieren …

Viele Psalmen, Gedichte und Musik zeichnen diese Erfahrung 
nach. Franz Schubert in seiner „Deutschen Messe“ zum Beispiel – wenn das verhaltene, andächtige „Staunen nur kann ich und staunend mich freu’n“ geradezu explodiert ins jubelnde „Ehre sei Gott in der Höhe“.

Dieses Staunen ist übrigens kein menschliches Privileg. Dass die ganze Schöpfung „ihr Gesicht erhebt“ und „frohlockend: Halleluja“ anstimmt, ist tief in unserer christlichen Tradition und ihren jüdischen Wurzeln verankert. Dass das ganze Universum vibriert, ja tanzt, zeigt Idrissa Savadogo, der Maler unseres Titelbilds aus Burkina Faso. Wie im großen Sonnengesang des Franz von Assisi sind es auch hier einmal nicht wir Menschen, die vor ihrem Schöpfer, ihrer Schöpferin tanzen. Es sind, ausgerechnet, die so unscheinbaren, pummeligen Käfer, die ihre Fühler in den Himmel strecken und auf ihren spillerigen Beinchen als Primaballerinen für den großen Tanz des Universums auf der Bühne stehen.

Das große spirituelle Staunen erleben wir nicht so oft. Wie schön, dass wir es auch in kleiner Alltagsmünze haben können. Das große Staunen und die kleinen erstaunlichen Themen prägen dieses Heft. Staunen Sie selbst!

Ihre
Margot Papenheim

www.leicht-und-sinn.de