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#mitleiden

Editorial von Margot Papenheim

Liebe Leser*innen

Oh – die war gut! Es war das abschließende Urteil meiner alten Tante über eine aus ihrem Dorf, egal, ob die noch lebte oder schon seit einem halben Jahrhundert tot war. Und dann erzählte sie zur Urteilsbegründung eine der alten Geschichten, die mit „Ich weiß noch, als…“ anfingen. Die Geschichte von der alten „Sisska“, von deren Hof keine Hausiererin und kein Bettler wegging, ohne dass sie ihr ein paar Knöpfe abgekauft, ohne dass sie ihm etwas zum Essen und ein freundliches Wort mitgegeben hätte. Die Geschichte von ihrer Mama: weiß Gott keine Nazi, damals „unter Hitler“, aber beileibe auch keine mutige Widerstandskämpferin. Doch für den „Fremdarbeiter“ aus der Nachbarschaft, ein halb verhungerter Franzose, für den legte sie, wenn es dunkel genug war, schnell noch einen Apfel oder ein paar Birnen oder auch mal ein Schinkenbutterbrot auf die Fensterbank des Schuppens. Da kam er auf dem Rückweg vom Feld abends immer vorbei.

Oh – das war kein Guter! Verachtung und auch Warnung klang mit, wenn sie ihr Urteil über eine*n der anderen fällte. „Ich weiß noch, wie…“. Wie die Nachbarin geweint hatte, als der Mann wieder einmal das Geld in der Wirtschaft gelassen hatte und dann nichts mehr da war, um Stoff für neue Kindermäntel zu kaufen. Wie oft die Kinder von … schon wieder grün und blau geprügelt in die Kirche kamen.

Reich oder arm, schlau oder dumm, großer Bauer oder armseliger Kötter, Tagelöhner oder Lehrerin – es war ihr egal. Wichtig war nur, ob eine*r gut war. Für sie war das eine Herzensfrage. Gut war einer, der ein gutes, ein mitfühlendes Herz hatte. Nicht gut eine, die unbarmherzig war gegenüber denen, die arm oder traurig, schwach oder von ihr abhängig waren.

Habt Mitleid, wie auch Gott mit euch leided. Ohne weil … oder damit … oder denn … . Ohne die Verlockungen und Drohungen, mit denen das Lukasevangelium die anderen Mahnungen verbindet. Einfach nur: Seid barmherzig. Habt Mitleid. Wie Gott, der ohne Weil und Damit und Denn mit uns leidet. Das ist die Aufforderung der Jahreslosung. Eigentlich ist es vielmehr ein ungeheurer Vertrauensbeweis. Ein segensreiches Zutrauen. Mitleid haben oder das Herz verhärten lassen. Gut oder nicht gut sein. Wir können uns entscheiden.

Ihre
Margot Papenheim

 

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